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Sägerei

Geschichte

DIE BURGERSÄGEREI VON FAIDO


Das erste schriftliche Zeugnis über die Existenz einer Sägerei im Besitze der Nachbarschaft von Faido - der Begriff "patrizi" (Burger bzw. Bürger) wird erst später anlässlich der französischen Besetzung von 1798 eingeführt -  findet man in einem Dokument vom 1. Januar 1698 (F. Viscontini, Seite 105) mit folgendem Inhalt:
"[…] noi scriba giurato Francesco Chioccaro [Cioccari], et il console Batista Rotanzo, et Carlo Mottino giurato della Terra di Faydo, et a nome delli generali vicini di Faydo, per una maggioranza unita [all'unanimità N.d.A.] […] insieme congregati nel locho solito abbiamo in virtù della presente […] la nostra resiga [segheria N.d.A.] in Gerra per il spatio di anni dodici, in mano […] di M. Batista Bullo, abitante in Faydo con le condizioni come segue […]".
Übersetzung: "[…] wir Gerichtsschreiber Francesco Chioccaro [Cioccari], und der Konsul Batista Rotanzo und Carlo Mottino, Richter des Landes Faydo, und im Namen der allgemeinen Nachbarschaft von Faydo, vollständig […] zusammengekommen am immer gleichen Ort, haben Kraft unseres Amtes […] unsere Sägerei im Raum Gerra für die Dauer von 12 Jahren in die Hände […]von M. Batista Bullo, wohnhaft in Faydo, bei folgenden Bedingungen übergeben […]".Die "resiga", d. h. die Sägerei der Nachbarschaft von Faido wurde also für zwölf Jahre einem Mitglied der Korporation zur Verfügung gestellt. Jedes Land (bzw. Nachbarschaft (Dorfschaft)) des Livinentals (Leventina) besass eine eigene "resiga" (Sägerei), die mit Wasserkraft betrieben wurde. Damit wurden Stämme gesägt, um die nötigen Balken und Bretter für den Bau der Häuser und Ställe zu erzeugen. Ursprünglich stand die Sägerei auf der linken Talseite des Flusses Tessin - fast gegenüber dem heutigen Standort, in der Nähe des Wasserfalls der Piumogna - wahrscheinlich im Raum Gerra, entlang eines Kanals, der damals auch zur Bewässerung der Wiesen und zum Betrieb von Mühlen diente.  Dieser künstliche Wasserlauf, zu dieser Zeit Mühlenbach genannt, ist heute unter der Bezeichnung  "Cábi" (F. Viscontini, Seite 104) bekannt und hat sein Erscheinungsbild gegenüber damals völlig verändert. Das Vorkommen von Mühlen, die vorwiegend zur Verarbeitung von Getreide (Weizen sowie Roggen und Gerste, zwei Getreidesorten, die im Livinental gepflanzt wurden) und für das Zerkleinern von Faserpflanzen (mit einem Schlägel, von einem Wasserrad bewegt) das seinerzeit wahrscheinlich zur Verarbeitung von Hanf und Flachs (Lessico dialettale, Seite 849) verwendet wurde, ist schon in einem Pergament vom 17. Januar 1387 (F. Viscontini, Seite 104) folgendermassen erwähnt:
"vendita di un molino coperto fino alle piotte [piode] con la rongia d'acqua, canale, tremorgia [recipiente utilizzato per il trasporto della farina N.d.A.], rodesino [ruota idraulica del mulino N.d.A.], mole [macine di pietra N.d.A.] ed altri diritti fin' alle strade pubbliche, sul territorio di Faido sopra la Rongia dei molini di Faido per il prezzo di lire 44, e soldi 16, e dinari 9, e col peso dell'attuale fitto di un staio di biada da pagarsi ai vicini di Faido[,] alla calonica di S. Andrea di Faido".
Übersetzung:"Verkauf einer Mühle, mit Steindach gedeckt,  mit Bach, Ableitungskanal, Behälter für den Transport von Mehl, Mühlrad, Schleifsteine und weitere Rechte bis zur öffentlichen Strasse, auf dem Gebiet der Gemeinde Faido, oberhalb des Mühlebachs, zum Preis von 44 lire, 16 soldi, 9 dinari, und mit der Pflicht zum Entgelt der vorläufigen Miete von einem "staio" (Masseinheit) Hanf, zu entrichten an die Nachbarschaft von Faido, zum Fest des hl. Andreas".
Dadurch, dass mehrere Maschinen vom Wasser des gleichen Kanals betrieben wurde, waren Streitigkeiten wegen Reinigung und Unterhalt vorprogrammiert. Im Jahre 1699 hatte der Neubau einer Mühle durch Josepo Mazucho (Mazzuchelli) einen Streit mit den andern Besitzern entfacht. Sie befürchteten, dass der Neubau oberhalb aller anderen Mühlen, den eigenen Wasserzufluss negativ beeinflussen könnte (F. Viscontini, Seite 105).
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Talsohle entlang des Tessins mehrmals von Überschwemmungen heimgesucht. Faido galt aus geologischen Gründen als gefährdete Ortschaft. Vor allem der Bach Formigario (bekannt auch unter dem Namen Eloas) brachte bei Unwettern in den Flusslauf des Tessins sehr viel Geröll, das mehrere gravierende Unwetterschäden verursachte, die in den Dokumenten aus den Jahren 1659, 1747, 1753 (F. Viscontini, Seiten 108-109), 1817, 1834, 1839 und 1868 erwähnt sind. Die Begleiterscheinungen der Überschwemmungen des 18. Jahrhunderts wurden in hervorragender Weise durch den einheimischen Historiker und Kapuzinerpater Angelico Cattaneo dokumentiert. Für den erwähnten Raum der Sägerei und der Mühlen waren die Überschwemmungen  vom 15./16. September 1839 die Schlimmsten  (P. A. Cattaneo, Seite 384).
"Sette mulini, il ponte in legno con la pila in vivo, fatta nel 1817, la sega [la segheria patriziale N.d.A.], da cinque a sei stalle, due edifici grandiosi a macchina per tintoria, furon rovesciati, e scomparvero, unitamente a gran quantità di borre, assi e travami presso la sega. Tutto il ridente 'piano delle salescie' non restò che un informe cumulo di muriccie, e macigni".
Übersetzung:"Sieben Mühlen, die Holzbrücke mit Brückenpfeilern aus Natursteinen aus dem Jahre 1817, die Burgersägerei, 5 bis 6 Ställe, zwei grosse Gebäude mit Färbereimaschinen wurden verschüttet und verschwanden zusammen mit vielen Balken und Brettern, die bei der Sägerei abgestellt waren. Die ganze Ebene der "Salescie" war voll mit Bergen von Geröll und mit Felsblöcken zugedeckt".
Die Burger von Faido, um erneute Zerstörungen durch Überschwemmungen zu beschwören, entschieden, die Sägerei sowie die Mühlen neu über den Fluss, in der Nähe des Wasserfalls der Piumogna, zu bauen. Aus diesem Wasserfall konnte man die Wasserkraft nutzen, genau in dem Raum, der von P. Angelico Cattaneo als "scoglio presso Traseggio" (Klippe im Raum Traseggio) benannt wurde. So wurde am 28. Dezember 1842 durch die Burgerversammlung eine Delegation ernannt und mit der Aufgabe betraut, den Standort des Neubaus der Sägerei zu suchen und am 18. August 1844 nahm man ein Projekt "resigare le borre" (zum Sägen der Baumstämme) an. Am 1. Mai 1845 wurde die Sägerei, dort wo sie heute noch steht, eingeweiht. Am 31. Dezember des gleichen Jahres bewarb sich G. Solari Mastarino um die Bewilligung zum Bau einer Mühle im Raum des Wasserfalls (Sammlung der Beschlüsse der Burgergemeinde). Im Verlauf der Jahre entstanden noch mehr davon. Im Jahre 1870 nahm oberhalb der Burgersägerei eine Schmiede, vom Burger Luigi Cattaneo erbaut, die Arbeit auf. Sie wurde bis in Jahr 1955 betrieben. Darauf wurde sie bis ins Jahr 1963 demontiert (A. Cattaneo). Im Jahr 1889 wurde in der Nähe des Wasserfalls, jenseits der Burgersägerei, das erste elektrische Kraftwerk des Kantons erbaut.
Die neue Burgersägerei, die sich im neuen handwerklichen Areal gut integrierte, wurde 1896 erneuert und bekam eine neue mechanische Säge. 1931, zum Betrieb aller Geräte, wurde ein elektrischer Motor eingebaut. Die alt-ehrwürdige Burgersägerei blieb im Betrieb bis in den Siebzigerjahren. Dann wurden die Räume von der Burgergemeinde als Magazin weitervermittelt. In den letzten Jahren hat eine Gruppe von "Frondienstlern" unter Leitung des Ratspräsidenten Edo Tagliabue, die Maschine revidiert und wieder in Betrieb gesetzt. Zudem wurden auch Arbeiten am Gebäude begonnen, mit dem Ziel einen "Waldhörsaal" einzurichten. Der Zweck dieses Raumes soll darin bestehen, die alten handwerklichen Tätigkeiten aufzuzeigen, einen Begegnungsraum zu schaffen und um Konferenzen bzw. Unterricht über den Wald und seine Nutzung auf Korporationsgebiet zu halten. Wegen der finanziellen Lage unserer Körperschaft sind Unterstützungen von Bedeutung, damit wir Baumaterial beschaffen und die Rechnungen jener Spezialhandwerker, die wir unbedingt anstellen müssen, bezahlen können.


Dr. phil. hist. Fabrizio Viscontini
(Übersetzung durch Germano Cattaneo)


Bibliographie

Lessico dialettale della Svizzera italiana, Tome 3

Padre Angelico, CATTANEO: I Leponti, Tome II. Bellinzona, 1990.

Aufsatz von Alfredo Cattaneo, 1987.

Repertorio delle risoluzioni patriziali dal 1833 al 1919. Archivio patriziale di Faido, Tome 13.

Fabrizio Viscontini, Uno sguardo attorno ai fatti di Leventina del 1755: alcuni aspetti poco esplorati di una protesta d'Antico Regime. In: Mario Fransioli, Fabrizio Viscontini (a cura di), La rivolta della Leventina. Rivolta, protesta o pretesto?, Locarno, 2006, Seiten 85-194.




Adresse:
Patriziato di Faido                                   
via Fontana dei Scribar 18
6760 Faido
E-Mail: info@patriziatofaido
Präsident: Tania Lombardi-Beltrami
Sekretär: Fabrizio Viscontini

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